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Die Bahn feiert 175 Jahre Eisenbahn

in Aktuell 07.12.2010 09:53
von EuroCity360 | 18 Beiträge

Vor 175 Jahren fuhr die erste Eisenbahn in Deutschland. Viele der Widrigkeiten, die sie damals plagten, kennt sie noch heute: Konkurrenz durch andere Verkehrsmittel, Druck aus der Politik und schlechtes Wetter.

Mit der Eisenbahn wurden ganze Regionen erschlossen, sie hat Landstriche geprägt und die Gesellschaft verändert. Ein Festakt feiert 175 Jahre Bahn in Deutschland.

Schienenverkehr wird wichtiger - auch wenn die DB bei jedem Winter in die Knie geht. Viele Bahnen werden aber die Konzentrationswelle nicht überstehen

Nürnberg

Der Graf redet - lange und leidenschaftlich. Das ist ungewöhnlich. Immerhin nennen sie Helmuth Karl Bernhard von Moltke den "großen Schweiger". Und an jenem 16. März 1891 ist er auch noch heiser. Die Eisenbahn hat den Feldmarschall und Alterpräsidenten des Reichstags bislang wenig bewegt, dennoch gerät er nun vor dem Parlament in Fahrt. "Für den Betrieb der Eisenbahn ist eine Einheitszeit ganz unentbehrlich", ruft er den Abgeordneten zu. Fünf Zeitzonen hat Deutschland in jenen Jahren, Berlin hat seine, ebenso München und Ludwigshafen. Und in Karlsruhe und Stuttgart ticken die Uhren wieder anders. Die Zeitverschiebungen stören auf Fernreisen, sie bremsen die Bahn. Es sei "nur billig, diese Ruine aus Tagen der deutschen Zersplitterung endlich wegzuschaffen", fordert Moltke. Zwei Jahre später ist es soweit. Deutschland hat nach der staatlichen Einheit endlich auch eine Einheitszeit. Durch die Bahn.

Die Eisenbahn ist und war immer mehr als ein Fortbewegungsmittel. Wo sie hinkam, veränderte sie das Land und die Gesellschaft. Die Bahn war Landerschließer und Fortschrittsbringer - in den USA oder Russland ebenso wie in Deutschland. An ihren Trassen und Endpunkten entstanden Arbeitsplätze und Siedlungen, ganze Industriezweige und Metropolen. Schienenprojekte wie die Bagdadbahn sorgten für schwere internationale Krisen, und ohne Bahn wären weder Adolf Hitlers Angriffskrieg noch der Holocaust möglich gewesen. Züge, Waggons und Schienen regten die Kunstschaffenden zu Filmen wie Willy Zielkes unvergleichlichem "Stahltier" (1935) oder Agatha Christie zum Roman "Mord im Orient-Express" an. Bahnfans haben eigene Namen wie "Pufferküsser" oder "Trainspotter" und noch mehr Vereine. In Deutschland begann die Geschichte der Bahn vor 175 Jahren.
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Damals, am 7. Dezember 1835, dampfte der erste Zug von Nürnberg nach Fürth. Das Ereignis wird heute mit einem großen Festakt in Nürnberg gewürdigt, zu dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kommen soll. Und auch wenn das erneute Winterchaos bei der Deutschen Bahn (DB), die Endlos-Krise der DB-Tochter S-Bahn Berlin und die Debatte um Stuttgart 21 die Festlaune trüben könnten, gibt es Anlass zu feiern. Denn die Historie des Schienenverkehrs in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, und seine Zukunft glänzend, sagen Experten. "Die Bahn liegt im Trend. Sie ist in vielen Punkten den anderen Verkehrsträgern überlegen", so Markus Hecht, Schienenexperte der Technischen Universität Berlin.

Aber der Schienenverkehr wird nicht nur wachsen, die Branche verändert sich derzeit in atemberaubendem Tempo. Die Bahnstrukturen, das Mit- und Gegeneinander von großen, auf ihren Heimatmärkten starken Staatskonzernen und kleinen Privatbahnen, wird es so schon bald nicht mehr geben.

Beim Blick auf die Verspätungsanzeigen in deutschen Bahnhöfen mag man derzeit an der Leistungsfähigkeit des Schienensystems zweifeln, und auch beim Start der Bahn in Deutschland war die Erfolgsfahrt nicht abzusehen. Ein Proteststurm brach los, als in Nürnberg eine Hand voll begüterter Bürger verkündet hatte, erstmals im Lande eine Lokomotive losschnaufen zu lassen. Die Fuhrleute und Pferdeknechte hatten Angst um ihre Arbeitsplätze und sagten ein Sterben ihrer Branche voraus, ebenso die Wirte an den Poststationen. Der Pfarrer in der kleinen Stadt Schwabach wetterte von der Kanzel: "Die Eisenbahn kommt aus der Hölle, und jeder der mit ihr fährt, kommt geradezu in die Hölle hinein." Die Ärzte prophezeiten jedem, der mit der Bahn fahren würde, schlimme Gehirnkrankheiten. Und eine Lungenentzündung durch den Fahrtwind sowieso. Ziemlich alle "Lobbyisten" jener Zeit hatten sich zusammengetan, um das "rauchende Ungeheuer" aufzuhalten, vor Ort waren die Angst und Wut der Bürger groß. Man erinnert sich unwillkürlich an die Szenen, die sich am Stuttgarter Hauptbahnhof abspielen.

Die Lok, der in Großbritannien georderte und pünktlich in 20 Kisten verpackt gelieferte "Adler", zuckelt dennoch los. Nur rund zehn Minuten braucht sie für die 6,2 Kilometer lange Strecke von Nürnberg nach Fürth. Und am Ende fallen weder die mitfahrenden Menschen noch das Vieh an der Trasse tot um. Die Ablehnung schlägt in Begeisterung um, wenig später sind die deutschen Länder im Trassenfieber. Im ersten Betriebsjahr befördert der "Adler" bereits 475 000 Fahrgäste. Nun wollen alle eine Bahnstrecke. In den fünf Jahren nach der Jungfernfahrt des "Adler" werden in Deutschland 240 Kilometer Schienen verlegt, 1860 sind es 12 000. Aus einzelnen Strecken entsteht ein Netz. 1851 fährt der erste durchgehende Schnellzug von Berlin nach Köln. Er braucht dafür 17 Stunden. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreicht das deutsche Schienennetz mit mehr als 58 000 Kilometern seine größte Ausdehnung.

1950 wurden im früheren Bundesgebiet 1,29 Milliarden und in der ehemaligen DDR 954 Millionen Fahrgäste registriert. Im Jahr des Mauerfalls nutzen im früheren Bundesgebiet die Menschen 1,13 Milliarden Mal Eisenbahnen, in der DDR 592 Millionen Mal. Im Jahr 2000 fuhren in Deutschland Fahrgäste 2,00 Milliarden Mal mit Eisenbahnen. Die Bahn - auch in Deutschland - hat den "Nachkriegsknick", der geprägt war von der Massenmotorisierung, überstanden.

Das war nicht abzusehen. In Großbritannien beispielsweise gab es in den 1960er-Jahren ernsthafte Pläne, den Schienenverkehr auf der Insel abzuwickeln und allenfalls einige Hauptstrecken weiterzubetreiben. Auch in Deutschland wurden in großem Umfang Strecken stillgelegt. Rund 34 000 Kilometer Schienen betreibt die DB, hinzu kommen rund 5000 Kilometer privater Betreiber. Seit Jahren wächst vor allem der Nahverkehr wieder, in den Ballungsräumen steigen die Menschen auf Züge um - ein Trend, der nach Expertenmeinung anhalten wird. "Züge verbrauchen weniger Energie und weniger Platz als Autos", sagt Schienenfachmann Hecht. "Ein Personenzug schafft bis zu 80 000 Fahrgäste pro Stunde in eine Richtung. Auf der Straßen bräuchte man dafür eine 16-spurige Autobahn."

Bei knapper werdenden Ressourcen ist der Energieverbrauch noch entscheidender. "Im Güter- und Personenverkehr ließen sich im Vergleich zum Verkehr auf der Straße drei Viertel beim Verbrauch einsparen", sagt Hecht. Zudem könnten Züge leichter mit Energie aus umweltschonenden Quellen wie Wind- oder Wasserkraft versorgt werden als Autos oder Flugzeuge. "Ein mögliches Einsparungspotential setzt aber voraus, dass die Züge voll sind. Dafür braucht man eine zuverlässige und pünktliche Bahn. Genau daran hapert es beim DB-Konzern", so Hecht. Die Pünktlichkeitsquote im deutschen Fernverkehr liegt seit Jahren bei rund 85 Prozent, Tendenz zuletzt fallend. Die Auslastung der ICE-Züge beträgt 44 Prozent.

Die Deutsche Bahn muss Tempo machen, denn 2011 bekommt sie erstmals Konkurrenz im Fernverkehr. Zwar ist es nur ein kleines, bislang in der Branche unbekanntes Unternehmen mit Namen Locomore. Es ist aber erst der Anfang. Seit 2010 sind die letzten Hürden, die die Staaten zum Schutz ihrer Bahnen aufgerichtet hatten, gefallen. Jetzt kann jedes Bahnunternehmen überall fahren - sofern es die Lizenzen hat und die Ausschreibung gewinnt. Längst sind den großen Staatsschienenkonzernen die Heimatmärkte zu klein geworden. Im Güterverkehr wildern sie bereits bei den Nachbarn, im Personenverkehr beginnt der Konkurrenzkampf erst. Dass man künftig mit der französischen SNCF oder der italienischen Trenitalia durch Deutschland fährt, ist nicht unwahrscheinlich. Trenitalia könnte bereits in wenigen Wochen in den deutschen Regionalverkehr einsteigen, nämlich dann, wenn die DB das Deutschlandgeschäft des gerade übernommenen Arriva-Konzerns an die Italiener verkauft. Gleichzeitig versucht die Bahn an Verkehre im Ausland zu kommen. Der Plan, mit dem ICE vom Rheinland nach London zu fahren, ist eine dieser Attacken, der sich an den schärften Konkurrenten des DB-Konzerns richtet, die SNCF.

Beim Ringen der großen Staatsbahnen werden die kleinen, privaten Unternehmen auf der Strecke bleiben. "Die Branche steht vor einer Konzentrationswelle. Viele Bahnunternehmen werden verschwinden oder fusionieren", sagt ein hochrangiger Manager der DB. "Drei bis fünf große Schienenkonzerne werden übrig bleiben. Das werden internationale Konzerne sein - und Staatskonzerne."

Kommt es so, ist es mit der Vielfalt im Schienenverkehr und dem seit 1994 mit viel Geld geförderten Wettbewerb von rund 360 Bahnunternehmen bald vorbei. Wenige Bahnen teilen sich dann das Geschäft - damit wäre man wieder dort, wo das Bahnsystem vor knapp hundert Jahren war. Damals fuhren in Deutschland acht Länderbahnen, die erst im Jahr 1924 zur Deutschen Reichsbahn verschmolzen.

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http://www.welt.de/print/die_welt/wirtsc...ltier-lebt.html


Die Bahn ist für mich kein x-beliebiges Unternehmen, sondern hat eine hohe patriotische Komponente.

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